Grundsätzlich kann ein Erblasser bekanntermaßen frei über sein Vermögen verfügen. Dies ermöglicht die in Deutschland geltende Testierfreiheit. Eine Begrenzung der Testierfreiheit bildet dabei jedoch das Pflichtteilsrecht. Es ist sozusagen ein Notwehrrecht des Erben gegen die Testierfreiheit. Das Pflichtteilsrecht kann nämlich nicht einseitig abbedungen werden. Es ist also nicht dispositives Recht. Es zeigt den Willen des Gesetzgebers, einen Ausgleich zwischen Familiengebundenheit des Erblasservermögens einerseits, und der Testierfreiheit des Erblassers anderseits zu schaffen. Der Anspruch auf den Pflichtteil besteht aus einem Geldzahlungsanspruch.
Diese Mindestteilhabe, meist der Kinder am Nachlass der Eltern, ist als Ausdruck einer Familiensolidarität, die durch Art. 6 GG geschützt ist.
Insbesondere bei einer Zerrüttung der Beziehung zwischen dem Erblasser und seiner Familie bzw. bei Kindern des Erblassers aus einer früheren Ehe oder Beziehung würden die Kinder ohne ein Pflichtteilsrecht am Vermögen des Erblassers nicht teilhaben. Daher ist das Pflichtteilsrecht auch als Ausprägung des Schutzauftrages aus Art. 6 Abs. 5 GG angesehen.
Das Recht steht gem. § 2303 BGB nur den Abkömmlingen, den Eltern und dem Ehegatten bzw. eingetragenem Lebenspartner vom Erblasser zu. Ausgeschlossene Personen sind: andere Angehörige wie Geschwister, Pflege- und nicht adoptierte Stiefkinder und Großeltern jeweils des Erblassers nebst deren Angehörigen. Auch Partner aus nichtehelicher Lebensgemeinschaft sind nicht pflichtteilsberechtigt.
Für eine Pflichtteilsentziehung muss ein besonders schweres Fehlverhalten gegeben sein. Dies berechtigt den Erblasser zum Pflichtteilsentzug. Die Gründe sind im Katalog des § 2333 Abs. 1 Nr. 1- 4 BGB abschließend aufgezählt. Sie sind nicht analogiefähig.
Dabei ist jedoch eine Verzeihung möglich. Wird das als Entziehungsgrund angegebene Verhalten verziehen, wird eine in letztwilliger Verfügung angeordnete Pflichtteilsentziehung unwirksam. Ebenso ist aber auch eine Beschränkung in guter Absicht möglich, wenn der Abkömmling einen verschwenderischen Lebenswandel führt oder überschuldet ist.
Die Berechnung
Der Pflichtteil besteht gem. § 2303 Abs. 1 S. 2 BGB in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils. Zur Berechnung der Pflichtteilsquote ist also zuerst der gesetzliche Erbteil des Pflichtteilsberechtigten zu ermitteln, § 1924 ff BGB. Der so ermittelte Erbteil des Berechtigten ist dann zu halbieren. Das Ergebnis ist der Pflichtteil.
Es gibt dabei die Besonderheit, dass bei der Ermittlung des maßgeblichen gesetzlichen Erbteils bestimmte gesetzliche Erben mitgezählt werden.
Dies sind
- durch letztwillige Verfügung von der Erfolge ausgeschlossene Personen
- Erben, die den Erbteil ausgeschlagen haben
- Erben, die für erbunwürdig erklärt worden sind und
- Auch die, die nur einen Pflichtteilsverzicht erklärt haben.
All diese Erben werden bei der Berechnung des Pflichtteils bzgl. der Ermittlung des gesetzlichen Erbteils mitgezählt.
Besonderheiten gibt es außerdem bei der Pflichtteilsquote des Ehegatten.
Je nach Vorliegen des gesetzlichen Güterstandes der Zugewinngemeinschaft oder eines anderen Güterstandes, kann durch Ausschlagung der Erbschaft ein „Mehr“ gewonnen werden. Es gibt bei den vielen verschiedenen Konstellationen grundsätzlich zwei Alternativen:
Güterrechtliche Lösung: Hier schlägt der Ehegatte seine Erb- oder Vermächtnisnehmerstellung aus. Die Pflichtteilsansprüche berechnen sich auf Basis des durch die konkrete Zugewinnausgleichsforderung reduzierten Nachlasswertes.
Erbrechtliche Lösung: Hier wird der sogenannte große Pflichtteil geltend gemacht. Hierbei kann der längerlebende Ehegatte nicht zusätzlich den konkreten Zugewinnausgleichsanspruch verlangen.
Beispiel zur gesetzlichen Erbfolge bei 10 Millionen € Vermögen
Beide Ehegatten, Abkömmlinge existieren, hatten ein Anfangsvermögen von Null, das Endvermögen des verstorbenen Ehegatten beträgt 10 Millionen €. Das Endvermögen der längerlebenden Ehefrau beträgt null. Die Ehefrau hat von ihrem Ehemann keine auf den Zugewinnausgleichsanspruch anzurechnenden Vorausempfänge erhalten. Da keine letztwillige Verfügung vorliegt und damit die gesetzliche Erbfolge eintritt, hat die Ehefrau das Wahlrecht wie folgt:
Annahme der Erbschaft durch den Ehegatten:
Sie erhält wegen ihrer gesetzlichen Erbquote einschließlich pauschalem Zugewinnausgleichsviertel von ½ insgesamt 5 Mio. € und ist Miterbin neben den Abkömmlingen.
Ausschlagung der Erbschaft durch den Ehegatten:
Beanspruchung des konkreten Zugewinnausgleichs von 5 Mio. € (Hälfte des Vermögens = Nachlass des Ehemannes) und des kleinen Pflichtteils von 1/8. Dieses 1/8 berechnet sich auf Basis eines Nachlasswertes von 5 Mio. € auf den Betrag von 612.500 €, da es sich bei der Zugewinnausgleichsforderung um ein pflichtteilsrelevantes Passivum handelt, das vorher auszugleichen ist. Durch die sog. Taktische Ausschlagung erhält die Ehefrau mithin 5.612.500 €, ist aber nicht Miterbin.
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch
Den Pflichtteilsergänzungsanspruch hat der Gesetzgeber zur Vermeidung von erbmassevermindernden Schenkungen geschaffen. Nach dem BGH soll der Pflichtteil nicht umgangen werden.
Es stehen dem Berechtigten nach § 2325 BGB auch Zahlungsansprüche auf Basis von Schenkungen zu. Auch erbenden Pflichtteilsberechtigten stehen möglicherweise unter Beachtung von § 2326 BGB neben dem Miterbenanteil Pflichtteilsergänzungsansprüche zu.
Der sogenannte fiktive Nachlass umfasst sämtliche Schenkungen. Diese sind in einem Nachlassverzeichnis nach § 2314 BGB aufzuweisen. Da der Pflichtteilsergänzungsanspruch keine Enterbung voraussetzt, kann dieser auch nach einer Ausschlagung, die zum Verlust des ordentlichen Pflichtteils führte, beansprucht werden.
Die Berechnung
Der Pflichtteilsberechtigte kann gem. § 2325 Abs. 1 BGB als Ergänzung des Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird. Es wird also unterschieden zwischen dem realen Nachlass, der für den ordentlichen Pflichtteil maßgeblich ist, und dem Nach lass, der sich unter Hinzurechnung des verschenkten Gegenstands aus diesem ergibt. Au diesem fiktiven Nachlass ist unter Heranziehung der ermittelten Pflichtteilsquote der Gesamtpflichtteil zu berechnen. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ergibt sich dann gem. § 2325 Abs. 1 BGB aus der Differenz des ordentlichen Pflichtteils zu dem Betrag, der sich als Gesamtpflichtteil ergibt.
Es ergeben sich also folgende Schritte:
1. Feststellung des Wertes des realen Nachlasses (§2303 BGB)
2. Hinzuaddierung sämtlicher relevanter Schenkungen, und zwar unter Berücksichtigung der 10-Jahresfrist und nach Abschmelzung, mit ihren indexierten Werten (§2325 Abs. 1 BGB)
3. Multiplikation mit der Pflichtteilsquote = Gesamtpflichtteilsanspruch nach § 2303 BGB und nach § 2325 BGB
4. Subtraktion des ordentlichen Pflichtteils nach § 2303 BGB.
Beispiel:
Erblasser E hinterlässt zwei Kinder A und B sowie einen Reinnachlass von 600.000 €. Zu Lebzeiten hat er seinem Freund F eine Schenkung im Wert von 400.000 € gemacht. Erbe ist er familienfremde X. Der jeweilige ordentliche Pflichtteil von A und B beträgt 150.000 €. Unter Hinzurechnung der Schenkung zum Nachlass ergibt sich ein fiktiver Gesamtnachlasse 1 Million €. Aus diesem würde sich ein Gesamtpflichtteil von jeweils 250.000 € für A und B ergeben. Beiden steht somit die Differenz zwischen dem ordentlichen Pflichtteil und dem fiktiven Gesamtpflichtteil, d. h. jeweils 100.000 € als Ergänzungsanspruch gegen X zu.
Der Ergänzungsanspruch lässt sich in o. g. Beispiel auch unter Zugrundelegung der entsprechenden Pflichtteilsquote des Berechtigten aus dem Wert der Schenkung selbst ermitteln. Hier 400.000 € : 4 = 100.000 €.
Grundsätzlich kann der Pflichtteilsberechtigte nur an Schenkungen aus den letzten 10 Jahren vor dem Erbfall partizipieren gem. § 2325 Abs. 3 BGB. Die Erbrechtsreform führte für Erbfälle ab dem 01.01.2010 eine Abschmelzung ein.
Schenkungen aus dem ersten Jahr vor dem Tod werden mit 100%, aus dem zweiten Jahr mit 90%, aus dem dritten Jahr mit 80% usw. angesetzt. So erfährt der Pflichtteilsergänzungsanspruch eine stete Reduktion.
Was steht Ihnen im Erbfall zu? Sind Sie Erbe geworden oder Vermächtnisnehmer, so haben Sie Informatonsrechte gegenüber Banken und Versicherungen, wenn Sie sich mit einem Erbschein legitimieren.
Begünstigt ein Testament einen anderen, so könne Sie als Ehepartner, Kind oder Elternteil Pflichtteilsansprüche geltend machen.
Pflichtteilsansprüche verjähren 3 Jahre nach der Kenntnis vom Todesfall.
Dr. Susanne Miecke ist Fachanwältin für Erbrecht. Hierzu zählt die Gestaltung und Auslegung letztwilliger Verfügungen (Testament, Erbvertrag) sowie die Durchsetzung und Abwehr erbrechtlicher Ansprüche, wie zum Beispiel von Pflichtteilsansprüchen und von Ansprüchen aus Vermächtnissen.
Hierzu zählt das internationale Erbrecht, die Gestaltung und Auslegung letztwilliger Verfügungen wie Testamente und Erbverträge, die Testamentsgestaltung sowie die Durchsetzung und Abwehr erbrechtlicher Ansprüche. Zu den häufigsten erbrechtlichen Ansprüchen gehören Pflichtteilsansprüche und Pflichtteilsergänzungsansprüche sowie Ansprüche aus Vermächtnissen. Auch bei Fragen rund um die Themen Nachlassverbindlichkeiten oder Unternehmensnachfolge steht Ihnen Frau Miecke zur Seite.
Häufig ist es ratsam, eine außergerichtliche Regelung von erbrechtlichen Streitigkeiten zu versuchen. Dazu ist nach der ersten Beratung ein persönlicher Besprechungstermin mit der anderen Partei sinnvoll. Kommt keine Einigung zustande oder droht die Verjährung ist jedoch ein gerichtliches Verfahren sinnvoll. Bei reinen Zahlungsansprüchen kann hierzu ein Mahnverfahren eingeleitet werden, weil dieses meist schneller zum Erfolg führt. Auch das Mahnverfahren verhindert den Eintritt der Verjährung. Hierzu verfügt die Kanzlei über eine Anbindung an das elektronische Mahnverfahren, welches schnelle Ergebnisse gewährleistet.
Auch bei Fragen rund um die Themen Nachlassverbindlichkeiten oder Unternehmensnachfolge steht Ihnen Frau Dr. Miecke zur Seite. Häufig gelingt ihr die außergerichtliche Regelung von Erbsachen.
Das Erbrecht ist eines der interessantesten Rechtsgebiete unseres deutschen Rechtssystems. Mit den Regelungen im bürgerlichen Gesetzbuchs zum Erbrecht hat der Gesetzgeber versucht, einen möglichst gerechten Ausgleich zwischen erbberechtigt Herrn und Pflichtteilsberechtigten Personen zu schaffen. Dabei stellt der Gesetzgeber jedoch die familiäre Zusammengehörigkeit insbesondere die Abstammung in gerader Linie einen besonderen Schutz, so dass im Erbrecht von nahen Angehörigen Pflichtteilsansprüche geltend gemacht werden können. Hintergrund ist, dass das Erbrecht ein Abbild des tatsächlichen Lebens darstellen soll und in der Regel Familienangehörige über einen langen Zeit Raum hinweg miteinander in einer Beistandsgemeinschaft gelebt haben. Sicherlich gibt es immer wieder Ausnahmefällen, denen man die im Bürgerlichen Gesetzbuch im Jahr 1900 fixierten Regelungen des Erbrechts nicht gerecht werden. Da sich aber lediglich um Ausnahmefälle handelt, ist das deutsche System des Erbrechts grundsätzlich als ein gerechtes System anzusehen. Die Regelungen zum Erbrecht würde nicht nur wer welchen Anspruch hat, sondern auch unter welchen Voraussetzungen an Rechnungen des bereits erhaltenen bei einer etwaigen Erbauseinandersetzung zu berücksichtigen sind.
Welche Ansprüche gibt es im Erbrecht denn beispielsweiese?
Auskunftsansprüche
Erbausgleichsansprüche
Pflichtteilsansprüche
Herausgabeansprüche
Duldung der Zwangsvollstreckung bei Schenkungen zu Lebzeiten
Ansprüche auf Ausstellung und Einziehung des Erbscheins
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